Code for Switzerland!
Traditionelle Modelle werden zunehmend in Frage gestellt: Städte müssen in der digitalen Welt neue Wege der Interaktion mit ihren Bürgern finden. Open Source Software und Open Data bilden die Grundvoraussetzung dafür, dass sich die Civic Tech Bewegung entfalten und wirken kann — auch in der Schweiz.
IT-Verantwortliche in Städten und Gemeinden haben es schwer. Ein komplexes System an Beschaffungsregeln in Kombination mit dem häufig vorgeschriebenen Wasserfallmodell führen in der Tendenz zu grossen, teuren und riskanten IT-Projekten. Darum werden sie von einer Verkäufer-Heerschaar der IT-Industrie um-worben, die sie gar zu «Smart Cities» machen wollen, wenn sie entsprechend langfristige Verträge mit ihnen eingehen. Dennoch wird kaum je eine Behörde belangt, wenn wieder ein IT-Projekt zu teuer wird oder zu lange dauert oder nicht die erwartete Leistung bringt und dadurch Steuergelder verschwendet. Das könnte sich mit mehr interessierten Augen aber ändern.
Government IT – Alte Regeln und neue Ansätze
Nach dem Vorbild in den USA bilden sich auch im deutschsprachigen Raum in immer mehr Städten Bürgergruppen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Online-Verhältnisse in der eigenen Stadt zu verbessern. Der grosse Unterschied zu früher? Statt traditioneller Methoden, mit Kampagnen Missstände aufzudecken und sich per Eingaben an die Verantwortlichen zu wenden, werden die Probleme direkt angegangen, indem konkrete IT-Lösungen geschaffen und frei zur Verfügung gestellt werden. Teilnehmende an den regelmässigen Treffen entwickeln Websites oder mobile Apps, die öffentliche Informationen für die Masse aufbereiten (Wasser– qualität, Kitaplätze, Baustellen, Mietpreise, etc.), politisches Engagement fördern (städtische Wahl-o-maten, offene Ratsinformationssysteme, etc.) oder Online-Dienste der Stadt verbessern oder überhaupt zum ersten Mal online anbieten (Auswahl der Schule, Wo sind die gefährlichsten Radwege, etc.). Open Source Software und Open Data spielen dabei eine zentrale Rolle.
Civic Technology
Der neue Trend «Civic Tech» kann als Konvergenz verschiedener Themen betrachtet werden: Transparenz und Zugang zu öffentlichen Daten, digitales bürgerschaftliches Engagement, soziale Anliegen, Teilen statt Besitzen, Crowd-Funding und hyperlokale soziale Netzwerke (vgl. Knight Foundation, The Emergence of Civic Tech, 2013). Wenn ein Projekt Lösungen zum Nutzen aller anstrebt, spricht man von «Civic». Ein hoher Grad der Zusammenarbeit und Vernetzung, ein grosser Pool an Open Source Werkzeugen und eine langsam aber stetig wachsende Menge offener Daten der Verwaltung ermächtigen Bürgerinnen und Bürger Heraus-forderungen in ihren eigenenStädten selbst anzugehen. Open Source Software und Open Data befeuern die Civic Tech Bewegung. Auch in der Schweiz. Als Vorreiter dieser Entwicklung gilt die 2009 gegründete Non-Profit Organisation «Code for America». Ihr Ziel ist es, das Know-How des Silicon Valley für soziale Ziele einzu-setzen und den Geist der Civic Tech Bewegung in die Stadtverwaltungen hineinzubringen um sie für das 21. Jahrhundert fit zu machen. Durch hunderte Projekte demonstriert Code for America, was in Städten möglich ist, wenn engagierte und kenntnisreiche Personen mit einem kollaborativen Ansatz und einem Amalgam aus agilen Methoden und neuen sozialen Technologien gesellschaftliche Herausforderungen angehen.
Zeigen, was möglich ist
Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen der Civic Tech Community und der Stadtverwaltung? Aus Interviews einer Forschungsreise in die USA entstanden zahlreiche Erkenntnisse. Die folgenden Varianten beschreiben in drei Stufen einen zunehmendem Grad an Verbindlichkeit der Kooperation.
1. Brigades
Auf der unteren Stufe sind unabhängige Bürgerinitiativen wie die Open Knowledge Labs von Code for Germany oder die Brigades von Code for America zu nennen. Die Community organisiert sich selbst und initiiert ihre eigenen Projekte. Die Kommunikation zur Stadtverwaltung wird dabei gesucht, aber der Grad der Interaktion bleibt meist niedrig und unverbindlich. Die Chancen sind hohe Geschwindigkeit und kreative Freiheit; die Risiken sind mangelnde Wirkung, da für das letzte Finish einer Lösung die institutionelle Unterstützung und Anschlusslösung fehlt.
2. Fellowship
Auf der mittleren Stufe der Verbindlichkeit stehen Programme wie das Code for America Fellowship. Ausgestattet mit einem Jahresstipendium arbeiten kleine Teams, die aus der Community rekrutiert wurden, direkt mit den Mitarbeitern einer Partnerstadt und der lokalen Community an der Umsetzung neuer Lösungen. Eine auch vertraglich gesicherte Verständigung über die Ziele erhöht die Verbindlichkeit, allerdings ist die langfristige Aufrechterhaltung der Lösungen dennoch nicht unbedingt garantiert – entweder weil die Stadt keine weiteren Ressourcen zur Weiterführung hat oder die Stipendiaten sich danach anderen Themen zuwenden.
3. Innovationslabors
Zuletzt gibt es einige Städte, die eigene Innovationslabors einrichten. Pioniere wie Boston’s Office for New Urban Mechanics oder das Laboratorio para la Ciudad in Mexiko-Stadt stellen interne Innovationsteams. Nach innen nehmen sie die Rolle des Risikoträgers für Experimente ein und nach aussen stellen sie die Verbindung zur Community sicher. Alle besuchten Labs waren – und dies scheint ein wichtiges Erfolgskriterium zu sein – direkt dem Bürgermeister unterstellt und häufig von ihm initiiert. Die Chancen dieser Teams sind die besondere Legitimation und Freiheit zu experimentieren. Das Risiko bleibt, dass sich die Community abwendet, wenn das zugesagte Engagement der Stadt hinter den Erwartungen zurück bleibt. In der Schweiz hat sich bisher noch keine Behörde mit einer Civic Tech Aktion bekannt gemacht – Zeit also, dass sich auch Schweizer Pionier-Verwaltungen an diese neue Bewegung wagen und eine Code for Switzerland Kampagne starten!
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Über den Autor
Dr. Marcus Dapp ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit. Er hat Erfahrungen bei der Landeshauptstadt München, der Open Knowledge Foundation (UK&DE) und Code for Germany. 2012 hat er die Digital Sustainable Commons gegründet.